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#04 - Das Loch im Zwerchfell

Es ist 12 Jahre her, da stand Tabea das erste Mal mit ihrer Narbe vor meiner Kamera. Damals war sie gerade mit ihrem ersten Kind schwanger. Ihr Mann hat damals diesen einen kurzen, aber so wertvollen Satz zu mir gesagt: „Narben erzählen Geschichten!“ Dieser Satz hat mich bis heute begleitet und war mit Auslöser für dieses Projekt. Heute erzählt sie ihre Geschichte.

NAME: Tabea
OP-ALTER: 5 1/2 Monate
DIAGNOSE: Loch im Zwerchfell

Tabea: Ich bin mit einer Zwerchfell-Lücke geboren worden. Das Zwerchfell hat sich während der Schwangerschaft nicht vollständig geschlossen, sondern es ist ein Loch offen geblieben. Anfangs hat das Keiner bemerkt. Aber mit einem knappen halben Jahr ging es plötzlich los, dass ich alles erbrochen habe, nichts mehr gegessen habe, immer weiter abgenommen habe und es mir immer schlechter ging. Meine Eltern sind mit mir zum Röntgen ins Krankenhaus gefahren. Dabei wurde das Loch im Zwerchfell entdeckt und festgestellt, dass die ganzen inneren Organe schon nach unten durchgerutscht waren. Mein Zustand war bereits sehr kritisch, dass die Ärzte gesagt haben: Sie muss sofort nach Leipzig in die Uniklinik und dort operiert werden. Sie wollten mich eigentlich gleich per Nottransport hinbringen.
Meine Eltern wollten mich aber nochmal mit nach Hause nehmen und sich von mir verabschieden, da Niemand wusste, ob ich das überleben würde. Unterwegs haben sie noch den Pfarrer informiert, dass sie mich gerne noch taufen lassen würden. So kam es, dass der Pfarrer innerhalb einer Stunde bei uns vor der Tür stand und eine Nottaufe durchführte.
Anschließend sind meine Eltern mit mir nach Leipzig gefahren. Unterwegs haben sie die Polizei, die zufällig am Straßenrand stand, angesprochen, weil sie das Krankenhaus nicht fanden (das war ja noch weit vor den Zeiten von Google Maps). Die haben uns mit Blaulicht bis zum Krankenhaus eskortiert.
In Leipzig wurde ich dann operiert. Nach der OP musste ich noch 2 Wochen in Leipzig bleiben und anschließend noch mehrere Wochen in einem Krankenhaus in der Nähe unseres Wohnortes, weil ich einfach nicht zugenommen habe. Meine Mom ist jeden Tag zum Krankenhaus gefahren, um mich zu besuchen (und psssst! um mich mit Schokolade zu mästen 😉 Das durfte ich eigentlich nicht essen, aber meine Mom wollte mich unbedingt mit nach Hause nehmen.).

Fotograf: Oje, das ist ja etwas, was wir uns heute gar nicht mehr vorstellen könne, oder?! Die Kinder ohne einen Elternteil im Krankenhaus! Wenn ich mir vorstelle, ich hätte unseren Jüngsten nach seiner OP allein im Krankenhaus lassen müssen …

Tabea: Naja, meine Mama konnte nicht dabei bleiben. Zum einen bin ich die Jüngste von vier – die anderen mussten ja auch versorgt werden. Und dann war das noch DDR-Zeit. Da war es unüblich, dass die Mamas bei den Kindern im Krankenhaus blieben. Ich hab da allerdings keine Erinnerung mehr dran. Ich wüsste nicht, dass mir das was ausgemacht hat.

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Fotograf: Hast du denn je mit deiner Narbe gehadert? Gerade im Jugendalter spielt das Aussehen ja eine sehr wichtige Rolle.

Tabea: Ich kenn mich ja nicht anders, als mit der Narbe. Auch wenn ich mich im Spiegel zum Beispiel anschaue, fällt mir die Narbe überhaupt nicht auf. Auch als Teeny hatte ich eigentlich nie eine Zeit, wo ich damit gehadert habe. Meine Mom hat mich sehr gestärkt, als ich noch jünger war. Ich erinnere mich noch, wie sie zu mir gesagt hat: „Ein schönes Mädchen entstellt nichts“.
Sie hat mir viel gesundes Selbstbewusstsein für meinen Körper vermittelt. Sie hat mir immer gesagt, dass das nichts Schlimmes ist und die Dankbarkeit darüber, dass ich überhaupt lebe und man das noch rechtzeitig festgestellt hat, alles andere überwiegt. Das haben sie mir von Klein auf vermittelt, wenn ich Fragen gestellt habe, und haben das sehr dankbar und positiv ins Licht gerückt. Deswegen hab ich die Narbe überhaupt nicht negativ für mich abgespeichert. Tatsächlich hab ich sie mir als Schülerin sogar manches Mal zu Nutzen gemacht. Im Sportunterricht bei Übungen, zu denen ich keine Lust hatte, hab ich dann schon mal gesagt: Ich kann das nicht so oft machen, weil ich diese Bauch-OP hatte! Bei SitUps zum Beispiel. 😀

Fotograf: Du hast ja inzwischen selbst drei unglaublich zauberhafte Kinder. Was vermittelst du ihnen in Bezug auf Ansprüche, Schönheitsideale und Narben?

Tabea: Hmmm, das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es ist schon so, dass ich selbst das Schöne liebe, das Perfekte. Ich weiß natürlich, dass es das Perfekte nicht gibt im Leben. Und Dinge und Personen bekommen Kratzer oder Narben. Ich merke, dass mir das was ausmacht, wenn das ideal Schöne beschädigt wird. Weil ich es einfach schade finde, wenn etwas Schönes kaputt geht. Unser Mittlerer ist inzwischen auch schon 2x mit dem Gesicht gegen die Wand gefahren und hat entsprechend Narben. Unsere Jüngste hat sich mal ins Bein geschnitten und hat ihre eigene Narbe. Ich merke, dass mir der Satz von meiner Mama sehr hilft und dass er mir immer wieder in den Sinn kommt.
„Einen schönen Menschen entstellt nichts.“

Und dann kommt auch das wieder hoch, was mein Mann damals beim ersten Fotoshooting mit dir gesagt hat: „Narben erzählen Geschichten“ und sie erzählen etwas vom Menschen und von dem, was er erlebt und durchgemacht hat. Da merke ich dann, dass mir das doch wichtiger ist als das perfekte Schöne.

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