Ihr Sohn Otis ist kaum ein Jahr alt, als Caro beim Abstillen bemerkt, dass ihre rechte Brust immer größer statt kleiner wird. Ihr Gynäkologe beruhigt sie und behandelt sie auf eine Brustentzündung. Als nach Wochen keine Besserung eintritt, wechselt Caro den Arzt. Als dieser die Brust sieht, greift er sofort zum Telefonhörer.
NAME: Caroline
ALTER Bei Diagnose: 37 Jahre
DIAGNOSE: Brustkrebs
Caro: Wir wollten eigentlich gerade in den Urlaub nach Sylt fahren. Doch von einem Moment auf den nächsten hat sich mein Leben um 180° gedreht. Statt am Strand saß ich nun im Krankenhaus. Sehr schnell wurde klar, dass ich einen hochaggressiv-entzündlichen, hormonabhängigen Tumor habe. Meine Überlebenschancen waren sehr schlecht – auch aufgrund der langen Zeit, die ohne Behandlung inzwischen verstrichen war. Aber Aufgeben war für mich keine Option. Ich wollte unbedingt meine Kinder aufwachsen sehen.
Sylvi: Wer oder was hat Dich durch die schwere Anfangszeit getragen? Hattest Du Unterstützung?
Caro: Ich habe einen sehr großen und tollen Familien- und Freundeskreis. Und doch habe ich mich in dem Moment völlig allein gefühlt. Mein Mann war zwar an meiner Seite und bedingt für die Kinder da, aber unsere Beziehung war zu dem Zeitpunkt schon herausfordernd. Als der Therapieplan dann feststand – zuerst Chemo, dann wird die rechte Brust abgenommen – brach viel um mich herum zusammen. Meine Kirchengemeinde war mein Rettungsanker in der schweren Zeit. Die Gemeinschaft hat mich im Gebet und mit positivem Zuspruch durchgetragen. Dort bekam ich die Liebe und Wärme, nach der ich mich so sehr gesehnt habe.
Sylvia: Wie ging es Dir in Deiner Chemotherapie?
Caro: Anfangs hat die Therapie gut angeschlagen. Der Tumor ist geschrumpft. Dann sollte noch 4x ein anderes Gift folgen, das meinem Körper richtig zugesetzt hat. Ich habe mich komplett ausgeliefert gefühlt, wenn ich stundenlang über der Toilette hing, oder zu schwach war, meinen Kindern nur die Schnürsenkel zu binden. Nach der 2. Dosis hat mein Körper komplett gestreikt und ich habe mich gegen eine Fortführung der Therapie entschieden. Ich hatte den Eindruck, dass mir die Therapie nicht hilft. Die Ärzte fanden das unverantwortlich. Aber der Tumor hatte sich mit dem neuen Mittel tatsächlich nicht mehr verändert. Mein Bauchgefühl hatte mir Recht gegeben. Mit Beendigung der Chemo habe ich mir ein Stück Selbstkontrolle zurückgeholt. Für mich war das sehr wichtig.
Sylvia: Wie ging es danach weiter?
Caro: Nach der Amputation der Brust und der Bestrahlung wurde ich durch eine Hormontherapie direkt in die Wechseljahre katapultiert. Wieder war mein Körper völlig außer Rand und Band. So hatte ich mich noch nie erlebt: Ich hatte ständig schlechte Laune, Ängste, Knochenschmerzen, Schlafstörungen, Hitzewallungen … das ganze Programm. Ich konnte nichts mehr kontrollieren. Nun war ich also nicht nur schwer krank, sondern auch noch unerträglich für die Familie – eine Belastung durch und durch. Ganze 2 Jahre habe ich das ausgehalten. Doch dann war damit Schluss. Wieder habe ich die Therapie beendet. Wieder waren die Ärzte entsetzt. Doch ich wollte endlich wieder die lebensfrohe Caro sein, die ich eigentlich immer war. Kurze Zeit später feierte mein Körper die Rückkehr zur Normalität.
Sylvia: Du hast dann viele Jahre mit einer Brust gelebt. Inzwischen ist deine Brust wieder aufgebaut, die andere im gleichen Zug etwas verkleinert worden, um sie aneinander anzugleichen. Was hat Dich dazu bewogen, dich dieser OP nun doch zu unterziehen?
Caro: Ganze 10 Jahre habe ich mit einer großen Brust auf der einen Seite, und einem flachen Stück Haut auf der anderen Seite gelebt. Einen Brustaufbau konnte ich mir erst nicht vorstellen. Aus einem Muskel oder meinem Bauch eine neue Brust formen lassen. Alternativ Fremdmaterial einsetzten lassen. Das klang für mich alles nicht gut. Und die Ärzte machten mir sowieso wenig Hoffnung: „Sie leben nicht lange, da lohnt sich keine Rekonstruktion.“
Aber ich habe mich unwohl gefühlt in meinem Körper. Ich mochte mich nicht mehr nackt zeigen – nicht mal unter Frauen. Während andere Betroffene ganz selbstbewusst damit umgingen, war mir das immer total unangenehm. Und auch mit einer Brustprothese musste man immer aufpassen, dass ja nichts verrutscht. Meine natürliche Weiblichkeit und Sinnlichkeit fehlten mir. Als ich dann nach einigen Jahren eine DNA-Analyse machte und herauskam, dass ich das BRCA2-Gen in mir trage, bekam ich es wieder mit der Angst zu tun. Ein Arzt empfahl mir, das Drüsengeweben der gesunden Brust zu entfernen und die andere Brust wieder aufzubauen. Das klang gut und richtig für mich. Und tatsächlich bin ich heute so froh, diesen Weg gegangen zu sein. Sauna, Strand, ohne Scham beim Sport im Fitness-Studio oder beim Schwimmen mit meinen Kindern zu sein. Zum ersten Mal nach Langem fühlte ich mich wieder wohl in meinem Körper, fühlte mich sexy und begehrenswert. Für mich hat diese OP sehr viel Lebensqualität zurückgebracht. Mein neues Leben konnte starten.
Sylvia: Als Betroffene hat man ja auch Kontakt zu anderen Brustkrebs-Patientinnen. Und du bewegst Dich in diesen Kreisen, um Anderen Mut zu machen und ihnen durch schwere Phasen hindurch zu helfen. Hast Du selbst Hilfe in diesem Rahmen erfahren? Und wie wird dort auf Brustwiederaufbau reagiert?
Caro: Ja, insgesamt habe ich viel Zuspruch und Ermutigung erfahren in den schweren Phasen. Allerdings beim Thema Brust-Wiederaufbau gehen die Meinungen so sehr auseinander, wie bei keinem anderen Thema. Ich habe Nachrichten voller Unverständnis und bösen Kommentaren bekommen. Mich hat das ziemlich mitgenommen. Gerade Frauen, die alle so einen schweren Weg gegangen sind, sollten sich Verständnis entgegenbringen. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, mit dem Thema umzugehen und es so in sein Leben zu integrieren, dass das Leben lebenswert bleibt. Für die einen kann der richtige Weg sein, die Narben offen zu zeigen und selbstbewusst damit umzugehen. Mein Weg war das nicht.
Sylvia: Caro, was hat Du aus dieser schweren Zeit für Dich mitgenommen? Wie hat sie Dich, Dein Leben und Deine Sicht auf das Leben verändert?
Caro: Mitgenommen habe ich unter anderem, dass das Leben wertvoll ist und ich nicht wissen kann, was das Leben für mich bereithält. Gutes und Ungutes wechseln sich ab und oft können wir nicht viel ändern. Bereit zu sein, das Leben anzunehmen, gesund zu leben, ehrliche Beziehungen zu schätzen und immer wieder aufzustehen für seine Werte und Wünsche – egal welche Türen verschlossen scheinen – das habe ich gelernt. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue. Zu Vertrauen und alles zu tun, dass ich am Ende sagen kann, ich habe ein gutes Leben gelebt … Auch habe ich erkannt, dass ich am Ende alleine durch das Leid gehen, aber kein Opfer sein muss.