web-nina-butterfly-24

#14 - Schmetterlingsflügel

So wenig offensichtliche Narben bei der letzten Geschichte zu sehen waren, um so mehr erwartet Euch heute. Nina´s Erkrankung geht unter die Haut – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Krankheit, die sie und ihre Mom täglich vor große Herausforderungen stellt. Aber sie sind ein eingespieltes Team, davon konnte ich mich beim Fototermin überzeugen, als eine plötzliche Wundversorgung nötig wurde.

NAME: Nina
ALTER bei Erkrankung: von Geburt an
DIAGNOSE: Epidermolysis Bullosa (dystrophica)

Nina: Ich habe eine angeborene, seltene Hauterkrankung: Epidermolysis Bullosa (EB) oder auch Schmetterlingskrankheit genannt. Es ist eine Genmutation auf Chromosom 3 – das Kollagen 7 ist gestört. Das ist wichtig für die Verankerungen der verschiedenen Hautschichten. Dadurch ist meine Haut so empfindlich, wie der Flügel eines Schmetterlings. Am ganzen Körper entstehen Wunden, Blasen und Narben. Bei meiner Form sind auch die Schleimhäute betroffen.

Sylvia: Wie wurde deine Krankheit entdeckt? War es vom ersten Tag an sichtbar?

Nina: Ja, gleich in den ersten Tagen nach der Geburt wurde es sichtbar. Durch einen Gentest wurde es dann bestätigt und die genaue Form wurde analysiert.

Es gibt 3 Hauptformen (und über 30 verschiedene Unterformen).

EB Simplex: Bei ihr ist „nur“ die erste Hautschicht (die Epidermis) betroffen. So entstehen eher oberflächlich Wunden und Blasen. Die Haut ist nicht ganz so empfindlich wie meine. Die Narbenbildung ist nicht so ausgeprägt und es gibt keine Verwachsungen an Händen und Füßen. Rund drei Viertel der Betroffenen leiden unter EBS.

EB Junctionalis: Bei ihr sind die erste und zweite Hautschicht (Epidermis und Dermis) betroffen. Bei dieser Form gibt’s jedoch eine Unterform, deren Lebenserwartung nicht höher als ein Jahr ist. Von keiner bis zur sehr stark verkürzten Lebenserwartung ist hier alles dabei. Rund fünf Prozent der Betroffenen leiden unter JEB.

EB Dystrophica: Diese Diagnose habe ich mit einer zusätzlich Unterform. Bei dieser Form sind alle 3 Hautschichten bis ins Muskelgewebe betroffen und alle Schleimhäute. So entstehen durch die starke Vernarbung Verwachsungen an Fingern und Zehen, aber auch im Mund, in der Speiseröhre (durch Vernarbung wird sie enger und muss regelmäßig durch OPs geweitet werden) oder auch im Auge entstehen Wunden und Vernarbung, die zu Sehbeeinträchtigung führen kann. Auch auf der Haut gibt es täglich Wunden und Blasen, die versorgt werden müssen. Verbandswechsel gehört zum Alltag dazu. Die Lebenserwartung ist eingeschränkt und es besteht ein hohes Hautkrebsrisiko.

Derzeit ist Epidermolysis Bullosa nicht heilbar und viele Patienten haben 24 Stunden am Tag seit der Geburt Schmerzen. Blasen und offene Wunden entstehen bereits durch leichte Stöße, Druck und Reibung, da die Hautschichten buchstäblich so zart wie Schmetterlingsflügel sind.

Sylvia: Du lebst seit Deiner Geburt mit der Krankheit. Wie gehst Du mit dieser Herausforderung um?

Nina: Für mich ist EB eine große Belastung und Herausforderung, der ich mich jeden Tag von neuem stellen muss. Meine Erkrankung ist fortschreitend. Es wird immer mehr und schlimmer, umso älter ich werde. Diese Aussicht ist nicht immer leicht für mich. Die Krankheit zwingt mich buchstäblich immer wieder in die Knie und treibt mich an meine Grenzen und weit darüber hinaus.

Die Narben selbst gehören dazu und sind unübersehbar am gesamten Körper. Die Wunden und Schmerzen sind viel nerviger. Nur die Vernarbung an Händen, Füßen und der Speiseröhre durch die Verwachsungen sind für mich im Leben sehr einschränkend. Die Hände sahen nicht immer so aus. Als Kind waren meine Finger normal und sind im Laufe der Zeit verwachsen und vernarbt, so dass ich (eigentlich Rechtshänder) inzwischen nur noch mit links einen Stift halten und malen kann. Auch mein linkes Auge hat sehr gelitten und ich sehe inzwischen nur noch auf einem Auge.

Sylvia: Wie reagieren andere Menschen auf Deine Narben und Wunden?

Nina: Ich werde viel angeglotzt auf der Straße. Vor allem im Sommer, wenn ich kurze Sachen anziehe. In der Schule wurde ich sehr stark gemobbt, wegen meiner Erkrankung und den Narben – ich wurde als eklig und ansteckend empfunden. Man wird schnell verurteilt oder es werden falsche Schlüsse gezogen. Ich wurde z.B. schon gefragt, ob ich ein Brandopfer bin.

Sylvia: Haben Dich diese Erfahrungen verändert?

Nina: Da ich schon immer Narben hab, kenn ich es nicht anders. Aber natürlich wird man geprägt, wenn man in einer Gesellschaft aufwächst, in der Äußerlichkeiten das Wichtigste sind. Passt man nicht ins Raster, wird man ausgegrenzt. Ich falle immer und überall auf und trotzdem musste und muss ich lernen, dass ich okay bin, wie ich bin – dass ich trotzdem schön bin. Narben sind nicht alles.

Sylvia: Wer oder was hat Dir Kraft gegeben (oder gibt Dir heute noch Kraft)?

Nina: Meine Mom und früher auch meine Großeltern. Und meine Assistenzhündin. Leider musste sie letztes Jahr im August eingeschläfert werden.

Sylvia: Was möchtest Du den Menschen für Ihr Leben mit auf den Weg geben?

Nina: Du bist schön.

Du bist genug.

Du bist gut, so wie du bist. Verstelle dich nicht für andere. Nur du, musst mir dir zufrieden sein. Du musst niemand Anderen zufrieden machen. Egal ob mit dem Aussehen, deinem Charakter oder deinen Entscheidungen.

Es ist okay, sich nicht immer in seiner Haut wohlzufühlen. Jeder hat schlechte Tage.

Deine Narben sind schön und gehören zu dir. Sie sind nicht abstoßend oder hässlich. Dass alle immer gleich sein wollen und einem Ideal nachstreben, dass niemand erfüllen kann, ist krank und toxisch.

Lass dich nicht von der Gesellschaft runterziehen. Die Menschen sollten offener gegenüber Narben und allen Behinderungen werden und Menschen mit Einschränkungen nicht mehr an den Rand der Gesellschaft drängen, nur damit sie aus dem Sichtfeld verschwinden.

Versucht Menschen erst kennenzulernen, bevor ihr nur das Äußere bewertet, ohne den Menschen dahinter zu kennen. Außen ist nur Fassade, der echte Mensch ist innen.